Sitzung: 12.01.2022 Stadtentwicklungs- und Wirtschaftsausschuss
Vorlage: VII/0385/21
Nachhaltigkeit
und Ressourcenschonung werden in allen Lebensbereichen immer wichtiger.
In
Aschersleben, der ältesten Stadt Sachsen-Anhalts, sind die Ressourcenschonung
und damit auch die Nachhaltigkeit bereits fest mit der Stadtentwicklung
verbunden. Historische Gebäude, die z. T. vor mehreren hundert Jahren erbaut
wurden, werden auch heute noch weiter genutzt und durch Um- und Ausbau an
moderne Ansprüche angepasst. Dabei kommen nicht selten auch wieder historische
Baumaterialien und natürliche Baustoffe zum Einsatz. Die in der historischen
Bausubstanz gespeicherte sog. „Graue Energie“, die einst für die Gewinnung der
Materialien und die Herstellung sowie Verarbeitung von Bauteilen aufgewendet
wurde, kann dadurch weiter genutzt werden. Durch die Vermeidung der Entsorgung
wird zusätzlich neue Energie eingespart.
Ähnliches
gilt für die Neugestaltung von Straßen und Plätzen in der historischen
Altstadt. Hier werden – wenn möglich – wiederverwendbare Natursteine geborgen
und in Abhängigkeit von der künftigen Nutzung und Ansprüchen an die
Oberflächenbeschaffenheit wieder verwendet und durch neue Natursteine ergänzt.
Diese
Grundsätze sind wichtig, reichen jedoch künftig nicht mehr aus. Das Prinzip der
Kreislaufwirtschaft muss auf möglichst viele Lebensbereiche ausgedehnt werden
und auch im Baubereich in noch stärkerem Umfang zur Anwendung kommen. Denn
momentan basiert das wirtschaftliche Produktionssystem auf einem linearen
Prinzip, d. h. am Ende der Nutzung landet das Produkt auf dem Müll.
Als
richtungsweisend gilt momentan daher das sog. Cradle-to-Cradle-Prinzip,
übersetzt: „Von der Wiege zur Wiege“. Danach sollen alle Stoffe in gleicher
oder angepasster Form wiederverwendet werden, sodass keine Abfälle entstehen.
Gedacht wird in zwei Kreisläufen: Zum einen gibt es die Biosphäre, in der
natürliche Rohstoffe nach ihrer Nutzung durch Kompostierung dem Kreislauf
wieder zugeführt werden. Zum anderen gibt es die sog. Technosphäre, in der
Gebrauchsgüter nach ihrer Nutzung durch chemische oder mechanische Prozesse
derart aufbereitet werden, dass sie in gleicher oder anderer Form wieder
genutzt werden können. Die thermische Verwertung, z. B. als
Müllverbrennung, zählt nicht zu dieser Kreislaufform. Wichtig ist auch, dass
die beiden Kreisläufe strikt voneinander zu trennen sind. Es müssen in sich
geschlossene Prozesse sein, ohne Vermischung der Rohstoffe. Das Cradle-to-Cradle-Prinzip
(C2C) schließt dabei auch die umweltfreundliche Produktion und die Nutzung von
erneuerbaren Energien mit ein.
Aschersleben
hat sich zum Ziel gesetzt, mit zu den Vorreitern dieses Prinzips zu werden und
ein neues Leitbild für die Stadt daraus zu entwickeln.
Hierfür
gibt es auch in Aschersleben bereits die ersten innovativen Ansätze.
1. Die mutwillig zerstörte Kletterorange
im Bestehornpark soll als „Orange 2.0“ in veränderter Form nach dem C2C-Prinzip
wieder aufgestellt werden.
2. Auf dem städtischen Friedhof soll
künftig als natürliche und CO2-neutrale Bestattungsform die
„Reerdigung“ angeboten werden (siehe hierzu Vorlage: VII/0359/21,
Stadtratsbeschluss vom 01.12.2021)
3. Bei Neubau- und Sanierungsmaßnahmen
sollen einerseits zunehmend Baustoffe verwendet werden, die eine
C2C-Zertifizierung aufweisen und zum anderen umweltfreundliche Energieträger
für eine dezentrale Elektro- und Wärmeversorgung zum Einsatz kommen. Die
Verwendung sortenreiner Materialien anstelle von Verbundstoffen gehört
ebenfalls dazu. Beispiele hierfür sind die geplanten und zum Teil schon in
Umsetzung befindlichen energieautarken Wohnhäuser der AGW mbH.
4. Die Produktion und Wiederverwendung
nachhaltiger Rohstoffe: Als zentraler Ausgangspunkt in Aschersleben wird die
Neugründung der Firma NOVO-TECH Circular GmbH & Co. KG angesehen.
Rund um dieses Unternehmen sollen gezielt Ansiedlungen weiterer Firmen
erfolgen, die sich ebenfalls mit der Kreislaufwirtschaft beschäftigen. Die
Investorenakquise in Aschersleben soll sich daher schwerpunktmäßig auf
Ansiedlungen, die das C2C-Prinzip umsetzen bzw. auf dem Weg dazu sind,
konzentrieren. Geeigneten Unternehmen soll der Vorzug gegeben werden.
Synergieeffekte sollen genutzt werden und das Profil Ascherslebens als
nachhaltiger Wirtschaftsstandort soll gestärkt werden.
5. Umsetzung nachhaltiger
Energiekonzepte: Nutzung erneuerbarer Energien aus Sonne und Wind mit
innovativen Technologien zur Wärmeversorgung.
6. Ressourcenschonung im Bereich des
Abwassers: Auch hier gibt es bereits verschiedene innovative Ansätze,
angefangen mit einer PV-Anlage zur (anteiligen) Eigenversorgung der Kläranlage
mit Strom aus erneuerbaren Energien über die künftige Verwendung von
C2C-zertifizierten Kanalrohrsystemen bis hin zur Aufbereitung des anfallenden
Klärschlamms zur Düngemittelherstellung und zur Phosphorgewinnung als einen
wichtigen (knappen) Rohstoff.
Darüber
hinaus gibt es zahlreiche weitere Möglichkeiten, wie sich Bürgerinnen und
Bürger der Stadt, Unternehmen und Verwaltungen aktiv an der Transformation zu einer
nachhaltigen Stadt der Zukunft beteiligen können.
Insbesondere
die städtischen Unternehmen sollen beim Schwerpunkt Energiewirtschaft gemeinsam
eine Vorreiterrolle einnehmen und in Zusammenarbeit mit der Stadt, dem
Landkreis, dem Land und dem Bund das gesetzliche Ziel umsetzen, bis 2045
klimaneutral zu sein. Dazu ist die gesamte Energieerzeugung auf Grüne Energie
umzustellen.
Um
„Cradle to Cradle“ als neues Leitbild und Alleinstellungsmerkmal der Stadt
Aschersleben zu etablieren, ist es aber genauso wichtig, innerhalb der
Unternehmen und Verwaltungen anzusetzen. Dazu sind die Beschäftigten von Anfang
an einzubeziehen und schrittweise die Arbeitsumgebung zu verbessern
(nachhaltige Büroausstattung und Arbeitsmaterialien, weiteres Vorantreiben der
Digitalisierung), damit die Nachhaltigkeit im Arbeitsprozess auch gelebt werden
kann. Die praktische Anwendung ist die beste Werbung und Ausgangsbasis für die
Verbreitung des Prinzips in der Gesellschaft.
Um
für all die kleinen und große Schritte zum gemeinsamen Ziel professionelle und
individuelle Unterstützung zu erhalten, allen Interessierten entsprechende
Informationen und Arbeitshilfen zur Verfügung stellen zu können und von bereits
geplanten und umgesetzten Projekten („Best Practice“) lernen zu können, schlägt
die Verwaltung vor, dem bestehenden „Netzwerk C2C Regionen“ beizutreten.
Hinter
dem Netzwerk steht der Verein „Cradle to Cradle – Wiege zur Wiege e.V.“ mit
Sitz in Berlin, vertreten durch den Vorstand Tim Janßen und Nora Sophie
Griefahn.
Laut
Aussagen des Vereins bringt die Mitgliedschaft folgende Vorteile: „Als Teil des
Netzwerk C2C Regionen wirken Sie aktiv und unmittelbar an der Transformation
ihrer Kommune mit. C2C Städte und Kommunen prägen florierende, lebenswerte und
widerstandsfähige Regionen. Ihre innovative und kreative Herangehensweise sorgt
für ein gesundes Wirtschaftswachstum, für die Unabhängigkeit von Rohstoffen und
die Zufriedenheit ihrer Einwohner/innen.
Das
Netzwerk C2C Regionen verbindet die vielen Interessen der Mitwirkenden und
lässt sie mit einer Stimme sprechen, um C2C-Transformation aus dem Lokalen in
die Welt zu bringen.“
Das
Netzwerk ist:
-
eine
Austauschplattform für Expertise und Wissen
-
eine
Bündelung von Positionen und Interessensvertretung („Eine Stimme, große
Wirkung“)
-
Potenzial
zur regionalen Vernetzung von Unternehmen, Organisationen und politischen
Akteuren
Durch
die Mitgliedschaft im Netzwerk erhält die Stadt Zugang zu einem internen
Mitgliederbereich mit:
-
Qualifizierungsmöglichkeiten,
die für Mitarbeiter/innen entwickelt werden
-
Events:
regelmäßige Netzwerktreffen, mögliche Einbindung auf Veranstaltungen von C2C
NGO, thematische Workshopreihen, Gesprächsrunden und Impulsvorträge für
Netzwerkmitglieder, Rabatte auf weitere C2C-Formate (z.B. C2C Congress,
Digital-Formate, Fachforen, individualisierte Workshops)
-
C2C-Handlungshilfen:
Entwicklung und Bereitstellung von Publikationen & Dokumenten wie Leitfäden
(etwa zur öffentlichen Beschaffung oder Bauen & Sanieren nach
C2C-Kriterien, sowie von Anforderungsprofilen für C2C in verschiedenen
Sektoren), Datensammlungen, Formulierungshilfen, Machbarkeitsstudien,
Erstellung von Vorlagen, Bereitstellung von individuell aufbereiteten
Informationsmaterialien für den Schulunterricht usw.
Weitere
Informationen über das Netzwerk und die dahinterstehende Organisation („Cradle
to Cradle NGO“) erhalten Sie in der Anlage und über die Internetseite: www.c2c.ngo
Der
Mitgliedsbeitrag für die Stadt Aschersleben würde aktuell 1.300,- € pro Jahr
(für Städte mit 20.000 bis 100.000 EW) betragen.
Beschlussvorschlag:
1.
Der
Stadtrat beschließt den Beitritt der Stadt Aschersleben zum „Netzwerk C2C
Regionen“, geleitet durch den Verein „Cradle to Cradle – Wiege zur Wiege
e.V.“.
2. Der Oberbürgermeister wird ermächtigt,
die hierfür notwendigen Schritte in die Wege zu leiten, Erklärungen abzugeben
und Anträge zu stellen.